Jahrzehntelang wurde das Museum von der Angst verfolgt, daß außerhalb von Taiwan auf Tour geschickte Kunstwerke Gefahr liefen, von Peking konfisziert zu werden. 1991 überwand die Museumsleitung ihre extrem vorsichtige Haltung und sandte 17 Orginalstücke als Leihgabe zu einer Ausstellung der Nationalgalerie in Washington D.C. Taiwan machte eine Garantie der US-amerikanischen Regierung, daß keine dritte Partei sich einmischen würde, zur Auflage. Diese Bedingung gilt heute noch. Museumsmitarbeiter verhandeln derzeit über die Möglichkeiten einer Ausstellung in einem deutschen Museum. Eine Wanderausstellung durch vier weitere Museen in den Vereinigten Staaten befindet sich für 1996 ebenfalls in Planung. Das Nationale Palastmuseum ist bei der Ausleihe seiner Orginale an andere Ausstellungshäuser weiterhin vorsichtig, aber es verschickt eine beträchtliche Anzahl von Reproduktionen zu Präsentationen im Ausland. Jedes Jahr organisiert das Museum jeweils eine Tour von Reproduktionen in Europa und in den USA. Die Regierung der Republik China benutzt die Kunstsammlung auch, um international Publizität zu gewinnen. Für eine kürzlich stattgefundene Handelsmesse der Republik China in Moskau stellte das Museum die kulturelle Komponente zur Verfügung.
An der Heimatfront kämpft das Palastmuseum erfolgreich gegen die Vorwürfe, es würde sich zu sehr um seinen internationalen Ruf bemühen und hätte dadurch keine Zeit mehr, sich um die Besucher hierzulande zu kümmern. Während der Sommer- und Winterferien veranstaltet es Vorträge für Lehrer und Schüler; in der Schulzeit bietet es Kurse über die Kunststile der verschiedenen Dynastien an und veranstaltet eine Reihe von öffentlichen Vorträgen.
Museumsführungen und Informationsmaterialien sind weitere Aufgabenschwerpunkte, erklärt Julie Kung-shin Chou, Kuratorin der Ausstellungsabteilung. Derzeit verfügt das Museum über 113 Führer und andere freiwillige Helfer. Es bietet zweimal am Tag kostenlose Führungen in Chinesisch und Englisch an; die ständig zu sehenden Stücke werden durch ausliegende Handzettel vorgestellt, und die Museumsbroschüre wird in sieben Sprachen herausgegeben.
Um auch das Publikum außerhalb Taipeis anzusprechen, sendet die Einrichtung jedes Jahr eine Ausstellung mit Reproduktionen um die Insel. Zusätzlich nimmt es gelegentlich Praktikanten von anderen taiwanesischen Museen an. Angestellte des Nationalen Palastmuseums halten auch häufig bei inoffiziellen Gelegenheiten Vorträge und nehmen an staatlich gesponsorten Veranstaltungen des Rats für kulturelle Planung und Entwicklung, des Erziehungsministeriums und anderer Organisationen teil. Das Museum lernt darüber hinaus auch externe Forscher an. Direktor Chin Hsiao-yi begrüßt einheimische wie ausländische Kuratoren und Studenten, die ein Praktikum in der Einrichtung machen möchten. Wenngleich die Praktikanten nicht bezahlt werden, bemühen sich die Museumsangestellten, ihnen so weit wie möglich in ihrem besonderen Interessengebiet in der chinesischen Kunst entgegenzukommen. Chin weist stolz darauf hin, daß ein Praktikum im Nationalen Palastmuseum zur geforderten Voraussetzung für Kuratoren chinesischer Kunst in den führenden Museen auf der Welt wird. Dieser Anspruch basiert sowohl auf der Zugänglichkeit als auch auf der Qualität der Sammlung.
Die Herausgabe von mehr als eintausend Büchern über chinesische Kunst ist ein anderer Weg, die Öffentlichkeit zu erreichen. Die Publikationen reichen von Kinderbüchern bis hin zu akademischen Berichten. Die meisten Veröffentlichungen sind in Chinesisch und nur ein geringer Teil in Englisch oder Japanisch verfaßt.
Das Museum bietet seinen Besuchern auch ansprechende Möglichkeiten, ein Stück der Sammlung mit nach Hause zu nehmen. Während die meisten hiesigen Museen mit ihren Verkaufsbereichen und Andenkenboutiquen nicht mit internationalen Standards konkurrieren können, macht das Nationale Palastmuseum gute Geschäfte mit seinen preislich angemessenen Reproduktionen von Gemälden und Vasen, sowie den Geschenkartikeln wie Schals, Taschen und Wäsche mit traditionellen Kunstmotiven. Im Juli begann Direktor Chin mit dem Verkauf von Computerreproduktionen seltener Sung- und Ching-Gemälde. Einige dieser prächtigen, farbigen Bilder sind im Orginal zu empfindlich, um sie auszustellen. Die Käufer können jede gewünschte Größe bis zu einer maximalen Breite von rund 1,50 Meter anfertigen lassen. Die Hauptzielgruppe, die man mit dem Angebot ansprechen möchte, sind Unternehmen, Einrichtungsspezialisten und Architekten. Bestellungen von Restaurants, Hotels, Kaufhäusern und Banken liegen schon vor. Vertreter aus Hongkong, Singapur und Festlandchina sind außerdem mit vielversprechenden Vertriebsanfragen an das Palastmuseum herangetreten.
Julie Chou betont, daß diese einträgliche Erwerbsquelle nicht von der Hauptfunktion der Einrichtung ablenken wird. "Auch wenn der Grundsatz des Museums lautet, mehr finanzielle Mittel aufzubringen", sagt sie, "ist es für uns das wichtigste, Kunst zurück ins Leben der Leute und in die Familien zu bringen."
(Deutsch von Jessika Steckenborn)